Ein echter Abschied muesste eine Begegnung sein (Pascal Mercier)
Was unterscheidet einen ehrlichen von einem feigen Abschied? Ein ehrlicher Abschied - das wäre der Versuch, mit dir zu einem Einverständnis darüber zu gelangen, wie es mit uns, mit dir und mir gewesen ist. Denn das ist der Sinn eines Abschieds im vollen, gewichtigen Sinne des Worts: dass sich die beiden Menschen, bevor sie auseinandergehen, darüber verständigen, wie sie sich gesehen und erlebt haben, was zwischen ihnen geglückt und was misslungen ist. Dazu gehört Furchtlosigkeit: Man muss den Schmerz über Dissonanzen aushalten können. Es geht darum, auch das, was unmöglich war, anzuerkennen. Sich zu verabschieden, das ist auch etwas, das man mit sich selbst macht: zu sich selbst stehen unter dem Blick des Anderen. Die Feigheit des Abschieds dagegen liegt in der Verklärung: in der Versuchung, das Gewesene in goldenes Licht zu tauchen und das Dunkle wegzulügen. Was man dabei verspielt, ist nichts weniger als die Anerkennung seiner selbst in denjenigen Zügen, die das Dunkel hervorgebracht haben.
Auszug aus dem Buch "Nachtzug nach Lissabon" von Pascal Mercier

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