Dienstag, 27. Juli 2010
Das große Kreuz
Markus Jehle: Das Große Kreuz 2010 als Wendepunkt

22. Juni 2010 von Markus Jehle. Die zentrale astrologische Konstellation des Jahres ist ein so genanntes Große Kreuz, das am 26. Juni 2010 zustande kommt und die Themen mehrerer großer Planetenzyklen miteinander verbindet: des Jupiter/Saturn-Zyklus, des Jupiter/Uranus-Zyklus, des Jupiter/Pluto-Zyklus, des Saturn/Uranus-Zyklus, des Saturn/Pluto-Zyklus sowie des Uranus/Pluto-Zyklus. Insofern kommt es zu einer Initialzündung für die großen, epochalen Entwicklungen und Veränderungen, die sich im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts abspielen werden. Es tritt deutlich zutage, in welchen Bereichen es zum Ende des ersten Jahrzehnts zu einem Bruch mit der Vergangenheit kommen musste, damit die notwendige Kraft und Energie für den in den Jahren 2010 und 2011 anstehenden Neubeginn zur Verfügung steht.



Das Große Kreuz im persönlichen Erleben

Auf einer persönlichen Ebene werden durch das Große Kreuz Zyklen und Themen angesprochen, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Der am Großen Kreuz beteiligte Jupiter/Saturn-Zyklus hat im Jahr 2000 begonnen, der Saturn/Uranus-Zyklus bereits Ende 1988. Der Ursprung des Saturn/Pluto-Zyklus liegt in der Konjunktion beider Planeten im Jahr 1982 und der Uranus/Pluto-Zyklus reicht bis in die Mitte der 60er Jahre zurück. Auf einer tieferen und in gewissem Sinne therapeutischen Ebene wurden die Themen des Großen Kreuzes durch den Planeten Pluto vorbereitet, der die sensiblen Gradbereiche des Großen Kreuzes in den Jahren 2006-2010 transitierte und der so den Boden für die anstehenden Wandlungs- und Transformationsprozesse bereitete. Das Große Kreuz steht daher vor allem für eine Korrektur falscher und irregeleiteter Vorstellungen, die im persönlichen Bereich im Dienste der Abwehr fundamentaler Ängste aufgebaut wurden.



Der Wind der Veränderung

Auch die am Großen Kreuz beteiligte Saturn/Uranus-Opposition ist bereits seit Herbst 2008 wirksam. Dadurch wurden Brüche und Verwerfungen deutlich, so dass in manchen Bereichen die Nähte bereits kurz vor dem Platzen sind. Durch Saturns Eintritt in Waage Ende Oktober 2009 werden nun immer deutlicher die Konsequenzen der seit längerem wirkenden plutonischen Prozesse sichtbar. Von Juni bis August 2010 kommt es dann beim ersten kurzen Gastspiel von Jupiter und Uranus im Zeichen Widder zum Paukenschlag, der den frischen Wind der Veränderung spürbar werden lässt. Spätestens wenn der mit Jupiter/Uranus-Konstellationen verbundene Blitz der Erkenntnis einschlägt, ist schnelles Handeln erforderlich.

Der Verlust plutonischer Kontrollmechanismen ist im ersten Moment meist nur schwer zu verkraften. Insofern macht das Große Kreuz wieder bewusst, wie "gefährlich" das Leben tatsächlich ist. In manchen Bereichen wird dadurch deutlich, dass die von angstgebundenen Vorstellungen inszenierten Horrorvisionen eine weit größere Gefahr signalisierten als real vorhanden war, in anderen Bereichen wiederum, die bislang sicher erschienen, können sich Abgründe auftun, die niemand dort vermutet hätte. Das am Großen Kreuz beteiligte Saturn/Pluto-Quadrat wird in aller Härte zum Ausdruck bringen, was wirklich zum Fürchten ist, weil es eine reale, existenzielle Bedrohung darstellt und welche Ängste eher neurotischer Natur und somit therapierbar sind.


Zwischen den Extremen

Im persönlichen Erleben können Erfolge und Rückschläge im Sommer 2010 dicht beieinander liegen. Das Leben kann sich in teilweise extremer Weise zwischen Glück und Unglück, Gewinnen und Verlusten, Freude und Trauer abspielen. Eine der zentralen Fragen dabei lautet, wie die Achterbahnfahrt zwischen Höhen und Tiefen am besten zu bewältigen ist. Wer über ausreichend Mut, Entschlossenheit und Risikobereitschaft verfügt, dem bieten sich in bestimmten Bereichen günstige Gelegenheiten für einen glücklichen Neubeginn. Darüber hinaus werfen die Konstellationen des Großen Kreuzes die Frage auf, in welchen Lebensbereichen ein persönlicher Wendepunkt erreicht ist und wo grundlegende Lebensveränderungen anstehen, damit es auf einer anderen und hoffentlich besseren Ebene weitergehen kann. Im Kern geht es darum herauszufinden, wo es gilt, das eigene Glück herauszufordern und wo es im Gegensatz dazu notwendig ist, Erwartungen zurückzuschrauben und künftig kleinere Brötchen zu backen.



Was Zukunft hat

Durch das Große Kreuz wird deutlich, wo man einerseits den Bogen überspannt hat und andererseits zu vorsichtig war und mehr hätte riskieren müssen, um wirklich Erfolg zu haben. So steht man möglicherweise in manchen Bereichen kurz vor dem Zusammen- bruch, in anderen dagegen kurz vor dem Durchbruch in neue Dimensionen. Auf jeden Fall wird deutlich werden, was Zukunft hat und was nicht und welche inneren Widersprüche möglichen Erfolgen im Weg stehen. Die Konstellationen des Großen Kreuzes werfen zudem die Frage auf, was der zu Ihrer bisherigen Lebensgeschichte passende persönliche Quantensprung wäre, der einen Aufbruch und Neuanfang ermöglichen könnte. Es gilt das richtige Projekt zur Integration all der gegenläufigen Tendenzen zu finden, die durch die zum Teil widersprüchlichen Konstellationen der am Großen Kreuz beteiligten Planeten angezeigt sind. Die kann in einigen Bereichen eine Wende hin zum Guten bedeuten, in anderen wiederum mit einer Verschlechterung der bisherigen Situation einhergehen.

Das über Monate hinweg bestehende T-Quadrat von Jupiter/Uranus, Saturn und Pluto wird erst durch die Vollmondstellung vom 26. Juni 2010 zu einem Großen Kreuz. Sonne und Merkur besetzen zu diesem Zeitpunkt die offene Stelle am Anfang des Krebszeichens und der von der Finsternis verdunkelte Mond gesellt sich zu Pluto Anfang Steinbock. Spätestens dann werden die krisenhaften Umbrüche und Veränderungen auch auf einer geistig-seelischen Ebene wahrgenommen und für alle deutlich spürbar.



FRAGEN ZU DEN KONSTELLATIONEN 2010

Fragen zur Saturn/Uranus-Opposition (exakt am 27. April und am 26. Juli 2010):

• Wo erleben Sie das Zerbrechen und Auseinanderfallen vertrauter Strukturen?
• In welchen Bereichen sind Sie innerlich zerrissen durch den gleichzeitigen Wunsch nach Sicherheit und Freiheit?
• Wo hindert Sie die Vergangenheit daran, Ihre Zukunft neu zu gestalten?
• Was müssen Sie ändern, damit das Bewahrenswerte weiter Bestand hat?
• Wo gilt es Ihre Flexibilität unter Beweis zu stellen und Experimente zu wagen?
• Aus welchen Gewohnheiten sollten Sie sich lösen, um frei für Neues zu sein?



Fragen zum Saturn/Pluto-Quadrat (exakt am 31. Januar und 21. August):

• Welches Schicksal vollzieht sich gerade durch Ihre Bindung an die Vergangenheit?
• Wo ist es an der Zeit, die Ängste und Dämonen der Vergangenheit endgültig zu besiegen?
• Woran sind Sie durch Schuldgefühle und Versagensängste gefesselt?
• Wo haben Sie noch alte Schulden zu begleichen?
• Wo hegen Sie destruktive Vorstellungen und schaden dadurch sich selbst?
• Wo hängen Sie zwanghaft an Ihrer Vergangenheit und den damit verbundenen Gewohnheiten?
• In welchen Lebensbereichen steht eine Kernsanierung an?
• Worauf können Sie wirklich bauen? Was hat Bestand?
• Wie können Sie Ihre Lebensprojekte vor einem möglichen Scheitern bewahren?



Fragen zur Jupiter/Uranus-Konjunktion (exakt am 18. Juni und 19. September):

• Was wären sinnvolle Veränderungen, um Ihren Leben frischen Schwung zu geben?
• Wo tun sich neue Perspektiven auf?
• Wo sollten Sie schnell reagieren, um Ihre Chancen zu nutzen?
• Wo ist die Zeit gekommen, um die Initiative zu ergreifen und loszulegen?
• Wo sollten Sie den Sprung ins Neue und Unbekannte wagen?



Fragen zur Jupiter/Saturn-Opposition (exakt am 23. Mai und 16. August):

• Wo haben Sie Ihre persönliche Wachstumsgrenze erreicht?
• Inwieweit können Sie nun ernten, was Sie in den vergangenen 10 Jahren gesät haben?
• In welchen Bereichen sind Sie übers Ziel hinausgeschossen, so dass Sie
nun kürzer treten müssen?
• Welche Ihren großen Erwartungen der letzten Jahre haben sich erfüllt, welche nicht?
• Woran sind Sie gescheitert und wen oder was machen Sie dafür verantwortlich?
• Wo sind Sie unter Ihren Möglichkeiten geblieben, wo haben Sie sich überschätzt?



Literatur:

Markus Jehle, Astrozyklen - Wie wir unsere Zukunft gestalten können, Chiron Verlag, Tübingen, 2009.



Dipl. Psych. Markus Jehle ist Leiter des 1991 gegründeten Astrologie Zentrums Berlin sowie Chefredakteur und Herausgeber der astrologischen Fachzeitschrift Meridian. Er bietet - auch telefonisch - persönliche astrologische Beratungsgespräche an. Infos und Termine unter Tel. 030-785 84 59 sowie Astrologiezentrum-Berlin.

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Mittwoch, 2. Juni 2010
Imago - ein Weg zu uns selbst?
Grundgedanke der Imago-Therapie ist, dass unverarbeitete Konflikte und Erlebnisse aus der Kindheit die Beziehungswelt Erwachsener belasten können. "Imago" ist dabei die tiefenpsychologische Bezeichnung für ein idealisiertes Bild von Personen (besonders von Vater und Mutter, aber auch Geschwistern), das vor allem in der frühen Kindheit unbewusst entsteht und später die Entscheidungen und Handlungen des Erwachsenen beeinflussen kann. Imago (lat. Bild, Plural Imagines) ist ein Begriff aus der Analytischen Psychologie und wurde erstmals von deren Begründer Carl Gustav Jung verwendet und steht ganz allgemein für ein im Unterbewusstsein existierendes (Ideal)bild einer anderen Person der sozialen Umwelt. Eltern-Imagines können auch als Vorläufer für das von Sigmund Freud so genannte "Über-Ich" angesehen werden. Auch der Titel der ersten psychoanalytischen Zeitschrift lautete "Imago"

Eine Imago ist also im Wesentlichen ein zusammengesetztes Ebenbild von Personen, die einen Menschen in der Kindheit am meisten beeinflusst haben. Anpassungen an Stress in der Kindheit bilden Abwehr-Verhaltensmuster, die beim erwachsenen Menschen als Persönlichkeitsstruktur fungieren. Liebe ist nach Ansicht von Robert. J. Sternberg nichts anderes als ein individuelles Drehbuch, das Menschen schon kurz nach der Geburt zu schreiben beginnen und im späteren Leben gilt es, einen Partner mit kompatibler Beziehungsgeschichte zu finden.

Harville Hendrix und Helen Hunt gehen davon aus, dass Menschen für ihre Beziehung oder Ehe unbewusst jenen Menschen wählen, der positive und negative Eigenschaften ähnlich denen der Eltern besitzt. Diese Menschen sind paradoxerweise oft mit genau jenen "negativen" Merkmalen ausgezeichnet, die man an seiner Imago so verletztend empfunden hat. Dieser Mensch hat wohl gerade durch diese Ebenbildfunktion das Potenzial zu helfen und in der Kindheit erlittene Verletzungen zu heilen.

Die Imago-Beziehungstherapie geht davon aus, dass die Beziehung selber schon eine Art Therapie ist, denn unerlöster und unbewusster Schmerz aus der Kindheit - Verlassen werden, Ablehnung, Unterdrückung, Beschämung, Hilflosigkeit usw. - wiederholen sich in der Beziehung und sind später auch die Ursache für Konflikte zwischen den Partnern. Menschen heiraten oder leben mit ihrem Imago-Ebenbild wohl auch deshalb zusammen, um Unerledigtes aus der Kindheit zu erledigen. Da Menschen von ihren wichtigsten Bezugspersonen in der Kindheit auch verletzt wurden, hoffen sie in der Partnerschaft auf Heilung durch den jeweiligen Partner - gewissermaßen Heilung durch den Stellvertreter mit denselben Eigenschaften.

Romantische Liebe ist der Beginn von fester Partnerschaft und somit der von der Natur vorgesehene Auswahlprozess, um einen zu unserer Imago passenden Menschen zu finden, mit dem Wachstum und Heilung möglich sind. Bestimmende Bestandteile der "Imago" mit den Wurzeln in den Kindheitserfahrungen bringen Menschen offensichtlich dazu, sich in jemand zu verlieben, der vor allem viele für essentielle positive wie negative Eigenschaften mit diesen Bezugspersonen aus der frühen Kindheit gemeinsam hat. Treffen wir auf einen solchen Partner, so werden die alten Gefühle von Zuneigung und Abhängigkeit, vor allem aber auch die alten Sehnsüchte und unerfüllten Bedürfnisse wieder aktiviert - zunächst in der Hoffnung, diesmal zu einer befriedigenden Lösung dieser unerledigten Themen zu gelangen, daher das oft seltsam unerklärliche Gefühl der Vertrautheit und Verliebtheit. Solange die Idealisierung anhält und auch nicht allzuoft enttäuscht wird, da noch beide bestrebt sind, den Partner für sich zu gewinnen und ihm zu gefallen, scheint sich diese Erwartung auch zu erfüllen: Endlich gelingt es uns, von jemand, der den Eltern gleicht, doch noch das zu erhalten, was wir von ihnen erhofften aber nicht bekamen.

Dadurch erklärt sich auch, dass viele Menschen mit wechselnden Partnern immer wieder die selben Beziehungs- und Abhängigkeitsmuster eingehen, obwohl sie doch offensichtlich wiederholt schlechte Erfahrungen gemacht haben. Oft wählen die Menschen jene Partner, die ihnen nicht gut tun oder sie gar verletzen, weil diese Partner unbewusst ein bislang ungelöstes Lebens- und Liebesthema repräsentieren, denn wer so sein Unglück sucht, trägt häufig tief in seinem Innern immer noch die Überzeugung, dass er nicht liebenswert ist, wie einst bei der Verletzung duch die Kindheits-Imago. Wer auf einen Partner trifft, der einen mit seiner Liebe geradezu überschüttet und ihm z.B. die ersehnte Anerkennung gibt, fühlt sich damit meist gar nicht gemeint. Statt dessen wird wieder ein Partner gewählt, der sich verweigert und erneut tief verletzt. Es wird also wieder ein Psychomuster gewählt, das bestens vertraut ist, denn die Partnerwahl bietet die wunderbare Möglichkeit, Psychohygiene zu betreiben und damit die eigenen schlechten, ungeliebten elegant Seiten loszuwerden. Wir lassen unsere negative Seite vom Partner leben und sind daneben die reinsten Gutmenschen, denn dadurch hat das gewählte Unglück den Sinn, sich selbst von allen negativen, peinlichen, schamhaften und schuldbeladenen Seiten des Ich reinzuwaschen, indem der gewählte Partner sie für uns auslebt. Diese Selbststabilisierung wird in der Psychologie meist als interpersonelle Abwehr bezeichnet.

Zitat:
Anfangs lieben Kinder ihre Eltern; wenn sie älter werden, halten sie Gericht über sie; manchmal verzeihen sie ihnen.
(Oscar Wilde)

Auch zahlreiche Studien belegen auch, dass man sich in der Regel zu jenen Menschen hingezogen fühlt, mit denen man eine gewisse Ähnlichkeit in Bezug auf Herkunft, Bildungshintergrund und Wertvorstellungen hat, was aber nur für den Zeitpunkt des Kennenlernens von Bedeutung ist. Die spätere Entwicklung erfahren die Partner hingegen erst durch deren Unterschiedlichkeit. Psychologen vermuten mit gutem Grund, dass man sich nach einer Trennung in der Regel jenen neuen Partner sucht, der sich vom vorhergehenden deutlich unterscheidet, der die eigene Entwicklung möglicherweise voranbringen kann, der die ungelösten Fragen der Vergangenheit vielleicht lösen kann. Beziehungen werden daher von Lebens- und Liebesthemen bestimmt, die den Partnern oft selbst gar nicht bewusst sind. Viele Partnerschaften werden auch nur auf Grund einer solchen bestimmten Thematik eingegangen, häufig etwa zur Loslösung vom Elternhaus, wobei sich nach erfolgter Abnabelung mit dem Partner die Frage stellt, ob man diesen dann noch braucht. Wenn daher keine weitere Entwicklung in der Beziehung möglich ist, verliert diese weitgehend ihre Funktion. Beziehungen sind demnach in erster Linie dazu da, Korrekturen im Leben herbeizuführen, sich von alten Mustern zu lösen, neue Erfahrungen zu sammeln, Ängste zu überwinden und Sehnsüchte zu erfüllen. Viele Menschen scheitern daher in ihren Partnerschaften stets auf ähnliche Weise, da sie sich an ihren ungelösten Lebens- oder Liebesthemen vergeblich abarbeiten, denn ein Partner, der z.B. noch nie das Gefühl hatte, richtig geliebt zu werden, wird immer die gleichen Partnerschaftsmuster eingehen, denn er versucht, jemanden zu finden, mit dem er beweisen kann, dass er doch liebenswert ist. Paradoxerweise kann diesen Beweis immer nur ein solcher Partner antreten, der den anderen zunächst einmal nicht liebt.

Die "Einsichten" in die Imago sind daher nicht nur für das Leben in einer Partnerschaft von Bedeutung, sondern ermöglichen auch dem Single, die ein Leben lang mitgetragenen Lebens- und Liebesthemen, die Defizite und unerfüllten Wünsche zu erkennen. Diese werden häufig in Freundschaften und auch oberflächliche Beziehungen projiziert, aus denen aber auf Grund der diesen innewohnenden Unverbindlichkeit keine Chance auf nachhaltige Heilung entstehen kann, vielmehr erwächst aus ihnen eine Art Verstärkungsmechanismus, zumal Freundschaften aus dem Bedürfnis nach Verständnis vor allem mit "Gleichgesinnten" und weniger "Gleichgestimmten" gesucht werden. Besonders Frauenfreundschaften werden oft nach diesem Muster geschlossen, da man ein Thema hat, das verbindet.

Je näher sich die Partner in einer Beziehung kommen, desto spürbarer wird aber auch der Unterschied zwischen dem Menschen, den man sich wünscht, und dem Partner, mit dem man leibhaftig zusammenleb, zwischen dem Menschen, für den man ihn hielt, und dem, als der er sich entpuppt. Beinahe jede Beziehung wechselt daher fast zwangsläufig irgendwann in ein Stadium des Machtkampfes, sobald man sich gegenseitig innerlich verpflichtet. In der Phase des Machtkampfes scheinen die jeweiligen Partner absolut ungeeignet zu sein, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen, sondern es wirkt eher so, als könnte diese einander perfekt erneut verletzen. Die romantische Liebe und der Machtkampf finden unbewusst statt. Je mehr nämlich das anfängliche Bemühen nachlässt und dahinter der Wunsch Raum greift, ohne Anpassungsbemühungen so angenommen zu sein, wie man wirklich ist, desto mehr Enttäuschungen geschehen. Diese erneuten Frustrationen der kindlichen unerfüllten Bedürfnisse sind besonders schwer zu ertragen, weil sie genau in die Wunde der alten Verletzungen treffen und auf diese Weise auch die dazugehörigen starken negativen Gefühle und die alten kindlichen Bewältigungsweisen dieser Emotionen wieder wachrufen. Hierin liegt der Grund, dass gerade diejenige Person, in die wir uns verliebt hatten, auch in der Lage ist bzw. es gar nicht vermeiden kann, uns besonders tief zu treffen und zu besonders irrationalen Verhaltensweisen zu provozieren. Im Buch "Liebe macht Angst: Wege aus dem Beziehungsterror" beschreibt übrigens der Psychologe Michael Vincent Miller die Ehe als Karikatur der grössten Träume, weil sie in der Regel nicht jener Brunnen der Liebe ist, den Menschen sich wünschen, sondern sie ist in seiner Perspektive eher eine Wüste, ein barbarischer Wettstreit darüber, wessen Bedürfnisse erfüllt werden. Der Partner wird zum Gegner, alsso zu jemandem, mit dem man die Bedingungen des Zusammenlebens stets aufs Neue aushandeln muss

Der Schlüssel zum Verständnis der Quellen, aus denen sich der Machtkampf von Partnern speist, liegt im Gewahrwerden einer ganzen Palette unerfüllter Kindheitsbedürfnisse. Paare, die ihre Partnerschaft durch die Linse der Kindheit betrachten, entdecken oft direkte Parallelen zwischen der Art und Weise, wie sie sich in ihrer Partnerschaft fühlen, und der Art und Weise, wie sie sich als Kinder gefühlt haben. Paare versuchen mit ihren Partnern Probleme zu bearbeiten, die mit ihren Eltern ungelöst geblieben sind, wobei ungelöste Kindheitsprobleme auch von einer Generation zur anderen weitergereicht werden. Eine besondere Rolle spielen als Bestandteil der Imago eben jene Seiten unserer Persönlichkeit, die wir im Laufe unserer Sozialisation unterdrückt und durch die Maske eines "falschen Selbst" ersetzt haben. Diese unterdrückten Anteile, das ungelebte, "verlorene Selbst" wird als Ergänzung des unbewusst empfundenen Mangels oder Vakuums im Partner gesucht, auf ihn projiziert oder delegiert: Er soll oder darf das leben, was wir selbst nicht verwirklicht haben, und in der Identifikation damit finden wir indirekt einen Weg, diese Anteile unserer selbst nun doch noch lebendig werden zu lassen, wenn auch in Stellvertretung durch den Partner. Auch dieser unbewusste "Partnerschaftsvertrag" trägt zunächst zur Attraktivität des Partners und zu unserem Gefühl des Angezogenseins bei, hat aber das Potential in sich, ins Gegenteil umzuschlagen: Wären die dem Partner delegierten Eigenschaften in unserer inneren Dynamik nicht als negativ, unerlaubt, gefährlich beurteilt, so hätten wir keinen Grund, sie nicht in uns selbst zu integrieren. Die negativen Urteile, die ursprünglich intrapsychisch zur Unterdrückung dieser eigenen Anteile führten, werden in der Paarbeziehung nun interpsychisch zu gegenseitigen Verurteilungen und Schuldzuweisungen, um die "unerlaubten" Anteile nun im Partner zu unterdrücken. Zusätzlich richten sich diese Vorwürfe noch auf einen weiteren Teil, der zur Imago gehört: auf die verleugneten negativen Anteile des falschen Selbst, also die Schattenseiten der von uns angenommenen Persona (häufig den verletzenden Anteilen der Eltern ähnlich). Auch diese spielen bei der Partnerwahl eine Rolle und werden im Partner ausgewählt, auf ihn projiziert oder in ihm provoziert.

Auch das reaktive Schutzverhalten der Ehepartner wird in der Eltern-Kind Beziehung weitergegeben und verewigt so jene verletzenden Selbstschutz-Verhaltensmuster in den Kindern, die diese wieder um in jede Beziehung in- und außerhalb ihrer Familie weitertragen. Aber anstatt Eltern darob Vorwürfe zu machen, sollte man die Eltern selbst als verletzte Kinder sehen, die wiederum ihrerseits unter dem leiden, was ihre Väter und Mütter ihnen in ihrer elterlichen Erziehung schuldig geblieben sind. Stress zwischen Partnern ist daher meist eine Externalisation von innerem Stress und inneren Konflikten.

Eine Imago ist aber nicht nur das innere Bild des entgegengesetzten Geschlechts, es ist auch gleichzeitig eine Beschreibung der eigenen oft verleugneten Ich-Anteile, d.h., man sieht den Partner an und kritisiert an ihm all die Verhaltensweisen, die man an sich selbst nicht wahrnehmen will. Hendrix nennt drei Hauptursachen für den Konfliktstoff, der jeden Machtkampf bestimmt:

* Beim jeweils Anderen die unterdrückten Gefühle zu berühren.
* Sich gegenseitig wieder die alten Kindheitswunden zu öffnen.
* Die eigenen, negativen Eigenschaften auf den anderen zu projizieren.

Diese Interaktionen bleiben ebenfalls meist vollkommen unbewusst. Im Zustand des Verliebtseins sehen wir nur die positiven Eigenschaften unserer Eltern im Partner und die eigenen positiven, aber unterdrückten Eigenschaften. Im Machtkampf sehen Menschen dann nur mehr die negativen und blenden die positiven aus. So wird aus dem Partner, den man einst liebte, ein Zerrbild und glaubt in der Enttäuschung, auf ihn alle erlebten Verletzungen projizieren zu müssen, auch wenn diese gar nicht von ihm verursacht wurden. Plötzlich werden die bisher ausgeblendeten negativen Aspekte der Imago "sichtbar", obwohl sie möglicherweise genau der Grund waren, diesen Partner auszuwählen.

Partnerschaft ist somit ein Entwicklungsprozess, der frühere Entwicklungsprozesse des einzelnen Individuums rekapituliert. Krisen und Probleme zwischen Ehepartnern sind eine Rekapitulation von Hemmungen und Entwicklungsstillständen jedes einzelnen Partners, die erfahrungsgemäß oft sehr ähnlich oder manchmal sogar identisch sind. Anfangs betrachtet man die Ehe als Vehikel, um sich alle Wünsche zu erfüllen, doch zu erwarten, dass die Ehe stets all Bedürfnisse befriedigt, also beiden unendliches Glück, Leidenschaft, Intimität oder Stabilität bringt, nach denen sie sich sehnen, ist vermutlich äußerst naiv.

Zitat:
Das Gefühl braucht Opposition. Wenn man schon aus Liebe heiratet, sollten wenigstens die Eltern dagegen sein.
(Egon Bahr)

Die in der Kindheit erworbenen Abwehr-Verhaltensmuster, die beim erwachsenen Menschen als wesentlicher Teil seiner Persönlichkeitsstruktur fungieren, sind nicht nur rigide, sondern auch komplementär und einander ergänzend, und müssen geändert werden, wenn es zu bleibender Verbesserung in der Paarbeziehung kommen soll. Auf die Bedürfnisse seines Partners einzugehen, erfordert charakterliche Veränderung in einem selbst. Das Eingehen auf das Bedürfnis des Partners bewirkt diese Veränderung. Eine Therapie muss sich auf die Reparatur der entwicklungsmäßigen Hemmungen jedes einzelnen der Partner konzentrieren. Um die entwicklungsbedingte Hemmung aufheben zu können, muss jeder der Partner genau die Zuwendung, also positives, unterstützendes Verhalten bieten, die in dem betreffenden Stadium der Kindheit seines/ihres Partners gefehlt hatte. Paradoxer Weise bewirkt das Schenken der Zuwendung, die dem Partner fehlt, auch eine Veränderung in ihr/ihm selbst, und verschafft Zugang zu ähnlichen oder identischen und bisher meist unbewussten Zuwendungs-Defiziten in ihnen selbst. Die Rolle des Imago-Therapeuten ist es, genau diese Interaktion zwischen den Partnern zu ermöglichen (Hendrix, 1979).

Romantische Liebe ein Leben lang?

Glaubt man einer Metastudie von Avecedo & Aron (2009), muss sich aber auch in einer langjährigen Beziehung nicht zwangsläufig die Romantik verflüchtigen und sich in eine eher partnerschaftliche Partnerbeziehung verwandeln, sondern diese kann ein Leben lang anhalten und zu glücklichen und gesunden Beziehungen führen. Allerdings ist es ein Irrtum, dass romantische Liebe das Gleiche ist wie leidenschaftliche Liebe, denn romantische Liebe hat mit der leidenschaftlichen Liebe zwar die Intensität, das Engagement und die sexuelle Anziehung gemeinsam, nicht aber die obsessive Komponente. Eine obsessive Liebe ist nämlich oft geprägt durch Gefühle wie Unsicherheit und Ängstlichkeit, diese Leidenschaft nicht auf Dauer erhalten zu können. Die Autoren fanden, dass Menschen, die in romantischen Beziehungen leben, zufriedener als Menschen in freundschaftlichen oder leidenschaftlichen Paarbeziehungen sind, gleichgültig, ob diese kurzfristig waren oder bereits längere Zeit andauern. Menschen, die mit ihrer Beziehung zufriedener sind, sind aber in der Regel glücklicher und haben zudem ein höheres Selbstbewusstsein als Menschen, die mit ihrer Beziehung unzufrieden sind. Selbst langjährige Beziehungen können immer noch die Kriterien romantischer Liebe erfüllen, allerdings braucht es dazu Energie und Hingabe der Partner, denn der von manchen als zwangsläufig angesehene Kompromiss zu einem freundschaftlichen Miteinander ist ein unnötiger Kompromiss.
Imago Paartherapie

Das Behandlungsmodell von Hendrix und Hunt soll Paaren helfen, ihre eigenen Wunden zu identifizieren und durch die Schaffung von starken, liebenden Beziehungen zu heilen. In herkömmlichen Paartherapien wird meist an Verhandlungstechniken gearbeitet und die Partner werden ermutigt, Abmachungen oder Verträge auszuhandeln. Allerdings verlängert dieses Verhandeln meist nur die Phase des Machtkampfes und verhindert, die darin verborgenen, ungelösten Kindheitsprobleme zu erkennen oder anzusprechen. Bei den meisten Paaren führt Verhandeln nur zu Resignation und Verzweiflung, denn die Sehnsucht nach bedingungslose Liebe ist dadurch oft weiter entfernt denn je. Um diesen Machtkampf zu beenden, übt man unter Anleitung des Therapeuten, dem Partner zu sagen, was man wirklich will. Die Imago Therapie ist im Wesentlichen eine Form von ritualisierten Dialogen, die die Partner unterstützt, wieder miteinander ins Gespräch, bzw. in Kontakt zu kommen. Dazu gibt es in den Büchern von Hendrix & Hunt zahlreiche praktische Übungen, die man mit und ohne Anleitung des Therapeuten als Paar durchführen kann.

Die Imago-Beziehungstherapie ist wie viele neuere Therapieansätze ein eklektischer Ansatz und verbindet Psychoanalytische Theorie, Tiefenpsychologie, Behaviorismus, Systemische Theorie, Gestalttherapie, Transaktionsanalyse und Kognitive Therapie. Die traditionelle Therapeuten-Klienten Beziehung wird in der Imago-Therapie in die Hände des Paares selbst gelegt.

Das wichtigste Werkzeug der Imago-Therapie ist eine spezielle Form des Paar-Dialogs, der Paare lehrt den Partner zu ‚halten' , exakt zu spiegeln, und mit Hilfe des Dialoges strukturierte Prozesse durchzugehen, um an jene Verletzungen zu gelangen, die in der Entwicklungszeit hindurch erlitten wurden. Paare, die sich dieser Struktur des Dialoges bedienen, sollen dadurch in die Lage versetzt werden, einander beim Erreichen und Erkennen der Kindheitsverletzung zu helfen und ihre persönlichen Wege zu finden, einander zu helfen, diese Wunden zu reparieren. Das Bild vom Partner wandelt sich von "dem, der mir nicht gibt was ich brauche", zu "dem, der als Kind tief verletzt worden war, und mit ‚meiner' Hilfe sein inneres Selbst wiedergewinnen kann". Der Partner kann dann die korrektive Erfahrung bieten, die zur Heilung nötig ist. So wechselt die Haltung gegenüber dem Partner von Kritik und Vorwurf zu Mitgefühl, Hoffnung und zur Verpflichtung zum Beistand bei der Heilung dieses Kindes/Erwachsenen. Dadurch wird emotionale Sicherheit geschaffen und vertieft. Die besonderen Fertigkeiten, welche die Paare in der Imago-Beziehungstherapie erlernen, zielen darauf ab ein Klima in ihrer Partnerschaft zu schaffen, das das Auffüllen der von der Entwicklung herrührenden Defizite und das Heilen der Kindheitsverletzungen ermöglicht, ohne jedoch eine Ko-Abhängigkeit in der Beziehung zu pflegen. Es ermöglicht vielmehr Ko-Abhängigkeiten aufzulösen.

Ziel der Imago-Therapie ist es, dass Paare lernen, Liebe ohne Bedingungen zu geben und dass jeder dem inneren Kind des Partners der Vater oder die Mutter wird, nach der es sich immer gesehnt hat. Das erfordert als Erstes eine ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit. Es stellen sich Fragen:

* Wo bin ich verletzt?
* Welche Bedürfnisse wurden mir nicht erfüllt?
* Welche Teile meines Selbst leugne oder verdränge ich?
* Was habe ich für ein inneres Bild von Beziehung?

Wenn man sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat, muss man die Fluchtwege aus der Beziehung schließen, also all jene Verhaltensweisen, die Energie abziehen mit dem Zweck, Konflikte zu vermeiden - gleichgültig ob Arbeit, Hobbies, Affären oder Süchte irgendwelcher Art. Mit Hilfe strukturierter Dialoge und anderer Übungen trainieren die Partner in der Imago-Therapie, den "Tanz der Schutzmuster" zu unterbrechen, d.h., nicht mehr sofort in Abwehr zu gehen, wenn der andere von einem etwas will, sondern sich selbst innerlich zu erweitern und über seine gewohnten Verhaltensmuster hinauszugehen und genau das zu machen, was einem dann oft ganz ungewohnt und seltsam vorkommt. Warum? Weil es genau das ist, was den anderen glücklich macht.

(Auszug aus den Arbeitsblättern von Stangl-Taller)

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Mittwoch, 7. Oktober 2009
Der passiv aggressive Mann - mein wahrer Scheidungsgrund
Zitiert aus dem Blog: www.az-web.de

Vom Softie der Achtziger zum "Neuen Mann" und Partner mit passiv-aggressiven Zügen?
In seinem Buch „Macht, wie man sie bekommt und wie man sie nutzt“ (How to Get It, how to Use It) beschreibt der Autor Michael Korda, wie nicht wenige Männer ihre „Erniedrigung“ quasi als ein lohnendes System empfinden. Der neue Mann darf über seinen Job klagen, noch undenkbar und als erniedrigend empfunden für die Generation der Väter und Großväter.

Damit hat natürlich auch die Frauenbewegung etwas zu tun, denn sie verhalf nicht nur Frauen zu mehr Selbstbestimmung, sondern brachte im Prinzip, als Gegenentwurf zum Macho, diesen Neuen Mann, den weicheren, den „Softie“ hervor, der finanzielle Last abwerfen konnte, weil die Partnerin vielleicht ebenso oder gar mehr als er verdient, oder der als Hausmann ohne männlichen Prestigeverlust tätig sein konnte, sich also von Frau auch zur Not ernähren lassen und der vor allem auch seine Gefühle besser äußern konnte, als noch der Mann der Fünfziger-Sechziger Jahre.

Von letzeren ist ein Mann mit passiv-aggressiven Zügen allerdings weit entfernt, genau das kann er nicht oder nur ansatzweise, er verharrt vielmehr passiv in seiner unterschwelligen inneren Aggression, wirkt dabei oft "wie schaumgebremst", gleichzeitig ist er manchmal auch davon genervt, sucht aber die Gründe nicht bei oder in sich, sondern immer aussen, bei den Anderen...

Was er aber ebenso wie der Softie der Achtziger sehr gut vermag, ist die Delegation auf Frau, verspürt dabei aber gleichzeitig einen Selbst-Wertverlust, geht unterschwellig mit ihr daher in Konkurrenz, denn er will es eigentlich ja auch selbst können und naturgemäß besser machen: ein unauflösbarer Widerspruch zwischen "männlichen" Macht-und vor allem Führungsansprüchen bei gleichzeitigen Bequemlichkeitsstendenzen !
Während der Softie der achtziger Jahre dabei mehr noch an Gleichberechtigung dachte und weibliche Rollenkonzepte fraglos übernahm oder interpretierte, nutzt der passiv-aggressiv gesteuerte Typus Mann Emanzipation von Frau eher aus, um sich von Verantwortung zu befreien.

Der „Softie“ der Achtziger Jahre „ersoff“ in seinen immer präsenten Gefühlen und Befindlichkeiten, nie gab es so viele Männer-Selbsthilfegruppen, der passiv-aggressive Mann spaltet dagegen Gefühle permanent ab, zeigt diese Dissoziation durch "anklagendes"Schweigen, Verdrängen, Vergessen bis zum nörglerischen Vorwerfen..

In früheren Mann-Generationen konnte ein junger Mann auch unerfreuliche, belastende Entscheidungen als Stationen auf seinem (erfolgreichen) Weg sehen.
Der neue Mann dagegen hat seinen Auftritt mehr als ewiger Abwäger und Nicht-Entscheider, als Vermeider genau solchen Unerfreulichkeiten, denn er muss sich und anderen doch nichts mehr beweisen!
So wird er weniger Verantwortung übernehmen, kann später oder eigentlich nie erwachsen werden. Er wird daher vielleicht auch nie selbst Vater sein oder tatsächlicher Beziehungspartner.

Und die inzwischen mehr aktiv-aggressive „Neue Frau „ ?

In den Fünfzigern und noch Sechzigern war es bekanntlich noch den Frauen vorbehalten, mehr die vermittelnde, passive Rolle der Moderatorin mit Taktgefühl und Diplomatie einzunehmen, während Männer ihre Vormachtstellung durch Konfrontation suchten.

Dieses klassische Rollenbild änderte sich mit Pille und Frauenbewegung und damit entstand auch eine geschlechtsspezifische, wachsende Rollenirritation: Frau wurde forscher, fordernder, verließ immer mehr ihre angelernte Bescheidenheit, wurde damit aktiv-aggressiver, ordnete sich weniger unter, passte sich nicht automatisch den Bedürfnissen des Mannes an, wollte nicht nur mehr gefallen.

Insofern führte die Frauenbewegung im Prinzip auch zu einigen Identitätskrisen von Frau und Mann, denn nun forderten Frauen bekanntlich die gleichen Möglichkeiten, die Männern schon immer tradiert offen standen.

Während der „Softie“ sich immerhin noch um einen Dialog bemühte, monologisiert der passiv-aggressive Mann eher bevorzugt und braucht immer gute Zuhörer(innen) und damit „Publikum“ für sein Leben und seine besonderen Leistungsschilderungen, die seiner Meinung nach nie so recht Anerkennung finden. Er ist und bleibt Opfer und ist niemals auch der Täter!

Der passiv-aggressive Partner im Beziehungsalltag :

Das Paarleben mit einem passiv-aggressiv gesteuerten Mann gleicht einem Eiertanz oder dem Schlittern auf einer Eisbahn, es gibt keine Verhaltenssicherheit für die Partnerin, selten kann sie ihn einschätzen und entsprechend reagieren, weil er sich schlicht und ergreifend ambivalent zwischen seinen eigenen Widersprüchlichkeiten hin und her bewegt und damit sehr stimmungslabil ist.

Im Praxisalltag höre ich manchmal auch Folgendes: Der passiv-aggressive Mann soll ein Partner sein, der grundsätzlich überhaupt kein Problem sieht, auch wenn dringende Klärung angezeigt wäre. Das Problem hat also damit immer die Partnerin...

Ganz schnell reagiert er gekränkt, verunsichert, wird mürrisch und oft schweigsam und auf ihre offenen Fragen hinsichtlich seiner Zufriedenheit oder auch Frustration, wird er nur selten konkret antworten, eher vage bleiben und weiter für Frau oder auch andere Mitmenschen ein Rätsel sein: Hat es ihm nun gefallen, war es nun in seinem Sinne, oder ist ihm alles egal?

Seine Zu- oder eher häufigen Absagen lassen ihn oft wenig zuverlässig erscheinen, er wird als chronisch unpünktlich beschrieben, und verfügt über wenig Einfühlungsvermögen und Verständnis zum Beispiel gegenüber einer wartenden Partnerin und deren verständlichen Ärger über dieses abwertende Verhalten..

Schweigen als Methode eines passiven, jedoch scheinbaren Nachgebens, „um des lieben Friedens Willen“, gleicht einem subtilen Machtkampf, bei dem eine Partnerin meist die schlechteren Karten hat.
Manchmal geht es nur um die Frage des grundsätzlichen Besser-Wissens, des besser Informiertsein o.ä. Vor allem aber ist das zermürbende „Alles erst mal in Frage stellen“ sowohl eine Schwäche dieses Typus Mann, als auch seine dominierende Stärke.

Ist ihm alles nur noch lästig, startet er nicht selten mit einem Angriff oder einem verwirrenden Gegenzug nach dem Motto: „Immer musst du alles so genau wissen, immer hast du was für mich zu tun, nie bist du zufrieden, lass das doch sein, du siehst doch wie schwer ich gearbeitet habe und meine Ruhe brauche usw...“, oder schneidet ihr womöglich mit durchaus barschem Ton einfach die Rede ab, weil es ihn schlicht und ergreifend wenig interessiert, wie es ihr tatsächlich mit ihm geht. Von seiner durchaus im Freundes -und Bekanntenkreis gezeigten auch verbindlichen Art, zeigt er seiner Partnerin eher wenig, oft hat sie daher das Gefühl mit zwei verschiedenen Männern zusammen zu sein, sie beschreibt eine Art Dr. Jekyll-Dr. Hyde-Syndrom...

Die ablehnende wenig partnerschaftliche Haltung kann sehr ermüdend und gefühllos bei der Partnerin ankommen und letzlich wirkt dies immer destruktiv auf die Beziehung. Interessant ist, dass meist die Partnerin eines solch passiv-aggressiven Mannes einen Schlussstrich zieht und die Trennung einleitet, sich in der Praxis als Erste meldet, erst dann sieht dieser so gestrickte Mann "seine Felle schwimmen" und meldet sich ebenso oder geht auf alles zunächst widerspruchlos ein um im späteren Trennungs-und Scheidungsprozess ganz besonders auf seine Rolle als Opfer dieser Frau oder Beziehung hinzuweisen. Auch hier lehnt er also i.d.R. Mitverantwortung an der Krise ab, eher hat alles sich gegen ihn verschworen...

Aber im Prinzip finden sich im Alltag immer wieder Gelegenheiten abzulehnen, was von einem verlangt werden kann, was also einfach erwartet wird, was schlicht die Rollenerwartung als Ehemann, Lebenspartner, Freund, Gastgeber, Liebhaber, Vater, Bruder, Sohn, Mitarbeiter, Chef..usw.vorgibt.

Werden aber bestimmte Erwartungen an ihn gestellt, reagiert dieser Typus Mann empfindlich gestört, versucht sich zu entziehen.

Wie extrem er sich manchmal im inneren Widerspruch zwischen Gedachtem (und damit auch inneren, unterdrückten aggressiven Impulsen) und tatsächlich Gezeigtem oder dann Gesagtem empfinden mag, zeigt folgendes Beispiel: “Ich finde, du bist eine super Hausfrau“, sagt er z.B.
Insgeheim jedoch denkt er „Wenn ich sie jetzt zuviel lobe, hat sie schnell wieder irgendeine Beschäftigung für mich, das nervt nur, dazu habe ich wirklich keine Lust.“

Prompt meint dann auch die Partnerin hoffnungsfroh: „Kannst du mir denn eben mal gerade dabei helfen“, worauf er vermutlich in angenervtem Ton antwortet: “Du siehst doch, was ich alles zu tun habe, ich muß mich um Wichtigeres kümmern als um deinen Kram, mal sehen, wenn, dann helfe ich später, mal schauen.“

Und natürlich hilft dieser Mann dann und später nicht, er drückt damit schnell aus, dass ihre Erwartung an ihn einfach eine Zumutung ist und fühlt sich mal wieder innerlich bestätigt in seiner Verärgerung darüber, dass sie tatsächlich glaubt, ihn beschäftigen zu können und auch bestätigt in seiner passiv-aggressiven Grundhaltung, wie wenig Verständnis sie für ihn und seine Bedürfnisse aufbringt. Er fühlt sich schnell zu Unrecht gefordert und in seinem Tun oder Nicht-Tun, also auch in seinem ausdrücklichen Ruhebedürfnis (Bequemlichkeitstendenzen) zu wenig gewertschätzt. Und das, auch wenn die Realität genau das Gegenteil beweist.

Ausserdem möchte er am liebsten, dass sie erahnt, was er in der Regel will, nämlich seine Ruhe.

Und so lobt er sie zunächst mit Kalkül, weil er damit eben diese Ruhe (Passivität) erreichen will, ahnt aber bereits im Ansatz, dass er sich dabei dann doch auf ihr Ding und damit ihre Erwartungen und Bedüfnisse einlassen muß und ist andererseits innerlich dem Gegenüber völlig ambivalent und aggressiv gestimmt.

Genau das aber leugnet er unbewusst, unterdrückt damit seine aggressiven Impulse, spaltet sie von sich ab, will ja nur Ruhe und Harmonie, nimmt sich selbst als lobenden, netten und gefälligen Mann wahr. Und zudem findet er sowieso grundsätzlich, dass er eigentlich doch immer Wichtigeres zu tun hat als sie oder andere.

So empfindet er es auch schnell als mangelnde Rücksichtsnahme, wenn er gefordert und damit in dieser seiner Ruhe gestört wird, gibt aber nun andererseits mit diesem Lob an die Partnerin, positive und damit gleichzeitig missverständliche Impulse weiter, denn sie glaubt ja, er sei gut gelaunt, fühlt sich in einer Stimmungssicherheit und fragt ihn deshalb.

Lobt ein passiv-aggressiver Mann, heisst das nichts anderes als: "Mach du deine Sache, ich mach mein Ding und lass mich besser in Ruhe, störe meine Kreise nicht.“ Er spiegelt durch seine innere Widersprüchlichkeit eine Pseudo-Hilfsbereitschaft, kann sehr gut etwas vertagen, vertrösten, versprechen, verschieben, vergessen, will also der nette Kerl sein, aber tatsächlich ärgert er sich über Erwartungen von ihr und Anderen, die er damit manchmal weglobt, und in Wirklichkeit überhaupt nicht erfüllen will.

Leere Versprechungen sind offensichtlich typisch für passiv-aggressives Verhalten.
Mit Versprechungen schafft man sich immerhin zunächst erst mal Freiraum, gute Laune beim Gegenüber, hat aber auch kein Problem damit, das meiste zu vergessen, was aber immer entschuldbar ist mit ... und so weiter.
„Ja, ja , das mache ich“, verspricht der passiv-aggressive Partner genervt,“ ich hole deine Mutter dann da ab.“
Tatsächlich aber lauert innerlich schon der aggressive Unterton: „Und warum schafft sie das nicht alleine, sie weiß doch, wie mich das nervt mit ihrer Mutter, sie verlangt das jetzt so einfach, was mutet sie mir da wieder zu!
Und prompt wird er das Abholen vergessen. Statt zu sagen: „Es tut mir leid, ich kann das nicht“, wird die Realität im Rahmen nicht eingehaltener Versprechungen immer so geschildert, dass man(n) es eigentlich ja auch nur vergessen konnte. Immer waren es die Umstände oder andere Menschen, niemals trägt er selbst die Verantwortung und damit Folgen!

Und statt beim nächsten Mal dann wenigstens dran zu denken, geht das Spiel aufs Neue los und die Ehefrau, die anmerkt, dass es doch ärgerlich sei, den Weihnachtsbaum bis Ostern im Kofferraum herumzufahren, statt ihn wie versprochen zu entsorgen, hat einfach eben dann keine Ahnung von seiner Belastung. Oder er tut „reuig“, lässt es aber dabei, das geht auch.

Eine klassische passiv-aggressive männliche und vor allem hier sehr verletzende Ambivalenz zeigt sich auch in folgendem Beispiel:

Die Partnerin macht einen offensichtlichen Annäherungsversuch, zeigt sich in reizvoller Pose und Wäsche, sie erwartet also eine entsprechende Reaktion von ihm! Verbal und körpersprachlich reagiert er vielleicht angemessen, im Hinterkopf und unterschwellig ärgert er sich jedoch genau darüber, will nicht „bedienen“ oder hat vielleicht sogar das Gefühl, irgendwie manipulativ in etwas hineingedrängt zu sein, was er jetzt, ausgerechnet jetzt, absolut nicht will, nun aber wohl muss.

Und so will er sich eigentlich lieber ihrem sexuellen Angebot entziehen und dann auch wieder nicht.
Sehr schnell distanziert sich daher dieser ambivalente Typus Mann, nach dem intimen Zusammensein, vom Akt und der Frau, denn die dort massiv erlebte Nähe steckt bekanntlich randvoll mit Rollenerwartungen, die er auch als bedrückend, manipulativ und einengend und nicht nur als angenehm empfindet, er geht daher häufig nach "der Liebe" in Distanz, geht unmittelbar "danach" in die Dusche, oder an den Computer, ans Fernsehen oder greift zu Zeitung oder Telefon, er macht etwas ausschliesslich mit sich selbst, klammert die Partnerin dann aus, ohne zu begreifen, wie verletzend er ist, auch das ist ausgeblendet.

Dieser Mann wird also nach dem Akt schnellstens zur Tagesordnung zurückkehren müssen, um so seine angeblich dabei verlorene Autonomie wieder „einzusammeln“. Dies geschieht nicht bewusst, wird aber von der jeweiligen Partnerin nicht selten als subtile Aggression und mangelnde Wertschätzung und große Abwertung empfunden.

Insofern kann einem Mann mit solchen Denk-und Verhaltensmustern nur durch Korrektur dieser Fehleinschätzung geholfen werden und einer gleichzeitigen Hilfestellung, seine tatsächliche männliche „Überlegenheit“ fühlen zu lernen.
Und das Ganze ist letzlich damit nicht Aufgabe einer ohnehin überforderten Partnerin, sondern sicherlich zunächst ein mal eines Coach oder therapeutischen Beraters, der die Partnerin dann letzlich miteinbeziehen wird.

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Spiegelneuronen im Gehirn
F.A.Z.-Serie: Gehirntraining - 21. April 2008
Spiegelneuronen im Gehirn von Vera F. Birkenbihl

Wie essen Sie Spaghetti? Rollen Sie sie auf einem Löffel, direkt auf dem Teller oder gar nicht? Wie und wann haben Sie das gelernt? Die Antwort auf diese Fragen führt uns zu einer der spannendsten Entdeckungen der Hirnforschung. Beginnen wir mit drei Fallbeispielen:
Eine Mutter wünscht, dass ihr Dreizehnjähriger öfter im Haushalt hilft. Sie überredet ihren Lebenspartner, regelmäßig zu helfen, damit der Junge das richtige Vorbild hat. Hilft ihr das?
Anderer Fall:
Zwei Sechsjährige erhalten heute beide ihr erstes Fahrrad. Der eine springt auf und fährt innerhalb kürzester Zeit; es reicht, dass Papa das Rad kurz seitlich hält, bis er die Balance findet. Der andere Junge braucht wochenlang Stützräder. Warum?
Kennen Sie den Typ Rebell, der als junger Aufsässiger seit seiner Schulzeit gegen diktatorische Lehrer und Chefs kämpft und eines Tages genau die Art von selbstherrlichem Chef wird, die er immer abgelehnt hatte? Besonders pikant ist die Tatsache, dass er der Einzige ist, der das nicht bemerkt.

Das Feuern der Neuronen
Ein Kind also sieht den Eltern jahrelang zu, wenn sie Spaghetti essen. Eines Tages beherrscht es die Gabel, und bald lernt es, auch Spaghetti zu essen, und zwar genau so, wie seine Eltern das tun. Beim Zuschauen wurden nämlich bestimmte Gruppen von „Spaghetti-Neuronen“ im Gehirn aktiviert. Ihre genaue Bezeichnung lautet Spiegelneuronen. Sie spiegeln das Verhalten in der Welt. Sie werden aktiv, wenn wir erstens anderen zusehen, die ihre Spaghetti aufrollen; wenn wir zweitens es selbst tun und wenn wir drittens daran denken, dass jemand Spaghetti essen könnte. Vielleicht haben wir gerade ein Plakat gesehen, das uns erinnert, oder jemand hat Spaghetti auch nur erwähnt, und schon funken unsere Spaghetti-Neuronen.
Wir verdanken diese Kenntnis einem Zufall, der sich 1995 in Italien, im Labor von Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese in Parma, abspielte. Es begann mit Affen, die beim Greifen nach einer Nuss bestimmte Neuronen entwickeln, die aber auch feuern, wenn ein Affe einem Versuchsleiter zusieht, der eine Nuss anfasst. Wobei man rein zufällig entdeckte, dass in diesem Augenblick die „Nuss-Greif-Neuronen“ ebenfalls feuerten. Bald wurden diese besonderen Neuronen auch bei Menschen ausgemacht.

Die Variationsbreite emotionalen Erlebens
Die Spiegelneuronen sind die neurophysiologische Grundlage für die beste Lernmethode, wenn es um Tätigkeiten geht. Sie helfen uns, durch Zuschauen und Nachmachen immer wieder Neues zu lernen. Spiegelneuronen sind auch aktiv, wenn wir beobachten, wie Mitmenschen emotional agieren oder reagieren. So geht man heute davon aus, dass Jugendliche, die in Konflikten immer sofort zuschlagen, viele Gemütszustände zwischen ruhig und aggressiv gar nicht kennen, wenn sie aus Elternhäusern kommen, in dem ein extrem sparsames emotionales Umfeld geboten wird. Sie können etwa auf Fotos nicht oder schlechter als andere erkennen, ob jemand sich freut oder nicht.
Die im Zusammenhang mit den Spiegelneuronen gemachten Entdeckungen liefern den neurophysiologischen Beweis dafür, dass Gedanken physiologische, also materielle Wirkungen erzeugen (was man lange bestritten hat). Diese neuen Befunde erklären nicht nur, warum Mentaltraining funktioniert, sondern sie helfen uns auch, die anfangs vorgestellten Beispiele zu verstehen.

Langzeitwirkung der Erfahrung
Beginnen wir mit dem Jungen, dessen Mutter ihn zu mehr Hausarbeit „erziehen“ möchte. Wird die Strategie aufgehen, wenn er seinen Vater regelmäßig Geschirr trocknen sieht?
Ruth Harris berichtet in ihrem Buch mit dem (leider sehr irreführenden) deutschen Titel „Ist Erziehung sinnlos?“ über dieses Phänomen und beschreibt, was ich als Zeitbombe bezeichne: Die Mutter hat zuerst nichts von ihrer Vorbildstrategie, denn den pubertierenden Jungen interessieren viel mehr, was die Freunde und Nachbarjungen tun, als die Eltern. Aber wenn er das Alter erreicht haben wird, in dem der geschirrtrocknende Vater sich heute befindet, dann wird es sehr wichtig sein, welches Vorbild er damals hatte.

Im Klartext
Wir können von Spiegelneuronen unterstützte Lernprozesse in drei Kategorien unterteilen.
Zum einen können sie sofort oder wenigstens bald wirken. Dann, wenn wir eine einfache neue Tätigkeit lernen wollen, was über Zuschauen, Mitmachen, Nachmachen am leichtesten geht.
Zweitens wirken Spiegelneuronen über einen längeren Zeitraum: Hier finden wir sowohl den Sechsjährigen wieder, der seit zwei Jahren allen Radfahrern sehnsüchtig hinterherschaut, weil er so gerne selbst fahren möchte. Er legt einen Großteil der Spiegelneuronen für Radfahren an, noch bevor er das erste Rad geschenkt bekommt. In diese Kategorie gehören auch unsere „Spaghetti-Neuronen“, die unseren Lernprozess als Kind so erleichtert hatten. Ähnlich ist das Leben später, wenn wir einem Meister, Guru oder Mentor im Laufe einer Zeit vieles „abschauen“.
Drittens schließlich lernen wir mit Spiegelneuronen manche Dinge quasi auf Vorrat. Unser Gehirn speichert die Szene für die Zukunft. Im einen Fall speichert es also die entscheidenden Vorgänge zu einem Lebensabschnitt, im anderen können die Vorgänge an einen bestimmten Umstand gekoppelt sein, wie „Chefsessel besetzen“, und dann setzt die Zeitbombe Spiegelneuronen gewisse Verhaltensweisen frei - gleich ob man dreißig oder fünfundfünfzig Jahre alt ist.

Konsequentes Training verändert das früh Erlernte
Das ist übrigens die Erklärung für ein Phänomen, das eine Langzeitstudie von Forschern der Harvard-Universität gefunden hat, ohne allerdings damals die Gründe erklären zu können. Man hatte Absolventen 28 Jahre lang beobachtet und ihnen halbjährlich Fragen vorgelegt. Ihr Fazit: Menschen führen - und lehren - so, wie sie in den ersten Jahren selbst geführt - und belehrt - worden waren. Die Lehr-Zeitbombe wird gewissermaßen in der Kindheit „scharf gemacht“, und dann nützen Jahre didaktischen Studiums umso weniger, je mehr man dort vor allem über das Lehren redet (wie auf unseren Pädagogischen Hochschulen). Nur konsequentes Training, das
heißt Handeln, kann diese Zeitbomben durch neue Erfahrungen und damit die anderweitige Nutzung der Spiegelneuronen verändern.
Ich erinnere an den jungen Rebellen, der zeit seines Lebens gegen Autoritätsfiguren gekämpft hat und den die Kollegen unter anderem deshalb schätzten. Wenn sie ihn dann eines Tages zum Chef haben, sind sie völlig erstaunt, weil er über Nacht all die schlimmen Manierismen, die er an großen Chefs immer bekämpft hatte, selbst an den Tag legt. Solches Verhalten konnte man sich lange nicht erklären, aber Spiegelneuronen machen es verständlich: In dem Moment, da er sich zum ersten Mal in seinen großen Chefsessel fallen lässt, geht die Zeitbombe hoch und sämtliche Spiegelneuronen, die das Chef-Verhalten spiegeln, werden aktiviert.

Der Rebell, der nicht weiß, was er tut
Das Interessante ist, dass der Betroffene das überhaupt nicht mitbekommt. Seine Selbsteinschätzung hat sich durch diesen Vorgang nicht geändert. Er hält sich nach wie vor für den Rebellen, keiner kann nachvollziehen, wie jemand so wirklichkeitsfern sein kann. Wir kennen eine Parallele in amerikanischen Filmen. Die Ehefrau, die zu ihrem Mann sagt: „Wenn ich je so werde wie meine Mutter, erschieß mich!“
Später weiß der arme Kerl nicht, wann er zur Waffe greifen müsste. Als junge Frau war sie ihrer Mutter tatsächlich extrem unähnlich, aber im Laufe der Zeit platzen die Spiegelneuronen-Bomben oder -bömbchen. So wird sie im Laufe der Zeit ihrer Mutter immer ähnlicher. Alle nehmen das wahr, ihr Mann, die Kinder, ihr Vater, die Nachbarn, nur sie selbst ahnt nichts davon.

Der Lehrwert des Zusehens
Das Zusehen schafft die ersten Spiegelneuronen. Der Junge, der nicht beim Radfahren zusieht und kein Interesse daran entwickelt, wird keinen Spiegelneuronen-Vorsprung haben und mühsam lernen müssen, was durch Zuschauen viel leichter gewesen wäre. So ähnlich ist es, wenn die Schule vorschreibt, dass alle Kinder zum gleichen Zeitpunkt dasselbe im selben Tempo lernen müssen, weil die Lehrkraft das will, unabhängig davon, dass das eine Kind seit langem bereit ist, diese Tätigkeit zu meistern, während andere - vor allem jene aus bildungsfernen bis bildungsfeindlichen Familien - keinerlei Spiegelneuronen für diese Tätigkeiten besitzen, weil zu Hause niemand etwas vorgemacht hat. Der Psychoanalytiker Joachim Bauer zog in seinem Buch über Spiegelneuronen („Warum ich fühle, was du fühlst“) den Schluss, dass keinerlei Lernen ohne Aktivierung der Spiegelneuronen stattfindet. Man bedenke, dass wir jahrtausendelang Verhaltensweisen vor allem dadurch lernten, dass wir über längere Zeiträume immer wieder zugeschaut haben, bis wir begannen, mitzumachen und es am Ende alleine ausführen konnten.

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